EbM-Kongress 2022: Eine bedarfsgerechte & evidenzbasierte Gesundheitsversorgung ermöglichen

Menschen applaudieren auf einer Veranstaltung

Lübeck wurde von 1. bis 3. September 2022 zum Zentrum der evidenzbasierten Medizin im deutschsprachigen Raum: An der Universität der Stadt fand die 23. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks für Evidenzbasierte Medizin (EbM-Netzwerk) statt. Den Ausganspunkt für alle Vorträge, Symposien und Workshops bildete die Frage, wie die evidenzbasierte Medizin dazu beitragen kann, eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.

Mehr als 300 Vertreter*innen aus der medizinischen Praxis und Forschung sowie der Gesundheitspolitik kamen für den Kongress nach Lübeck. Die verschiedenen Programmpunkte boten den Teilnehmer*innen viel Raum zum Diskutieren: Sie tauschten sich intensiv aus über verschiedene Ansätze für eine bessere Erhebung, Verbreitung und Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zum gesundheitlichen Versorgungsbedarf bzw. zu den Vor- und Nachteilen einzelner Behandlungsmaßnahmen. Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin eröffnete die Veranstaltung am 2. September offiziell mit seiner Keynote-Präsentation. Darin machte er die Anforderungen zum Thema, die eine evidenzinformierte Gesundheitspolitik an alle in diesem Feld tätigen Akteur*innen stellt. Reinhard Busse zeigte neben anderen Vortragenden auf, dass bei der Erstellung und Bewertung wissenschaftlicher Evidenz als Basis für gesundheitspolitische Entscheidungen nach wie vor Defizite bestehen. Häufig wird es dann problematisch, wenn evidenzbasierte Regelungen in der praktischen Versorgung umgesetzt werden sollen.

Evidenzbasierte Versicherungsrichtlinien und verstärkte Teilhabe von Patient*innen

Die zweite Keynote-Präsentation kam von Ursula Waßer, Richterin am deutschen Bundessozialgericht. Sie sprach darüber, welchen Einfluss die Grundsätze der evidenzbasierten Medizin bereits auf die Richtlinien der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland haben und wo hier noch Probleme vorhanden sind. Sie widmete sich auch den Kritikpunkten, die in Zusammenhang mit evidenzbasierter Medizin als Steuerungsinstrument in der Gesundheitsversorgung immer wieder genannt werden. Den Abschluss der insgesamt drei Keynote-Präsentationen übernahm Jorien Veldwijk von der Erasmus School of Health Policy and Management in Rotterdam. Sie ging auf die Methoden ein, mit denen die Präferenzen von Patient*innen für bzw. gegen spezifische Versorgungsansätze erhoben und berücksichtigt werden können.

Thema auf dem diesjährigen EbM-Kongress waren darüber hinaus Methoden, die den Austausch zwischen Behandler*innen und Patient*innen bei den Entscheidungen im Therapieverlauf erleichtern oder überhaupt ermöglichen können. Dazu wurden auch konkrete Projekte bzw. Ergebnisse daraus vorgestellt. Weiters wurden Strategien gegen eine Über-, Unter- und Fehlversorgung im Gesundheitsbereich diskutiert. Anna Glechner aus dem Team von Cochrane Österreich präsentierte in diesem Zusammenhang die Initiative „Gemeinsam gut entscheiden – Choosing Wisely Austria“. Sie informierte über die Empfehlungen, die sie und ihre Kolleg*innen bereits für Mediziner*innen und Patient*innen erarbeiten konnten. Die Kongress-Teilnehmer*innen konnten sich in Lübeck ebenso mit den Entwicklungen in den Methoden zur Evaluierung von routinemäßig durchgeführten Versorgungsmaßnahmen auseinandersetzen.

Was einer evidenzbasierten Gesundheitsversorgung im Weg steht

Wie effektiv Evidenz erhoben und die Versorgungsqualität überwacht werden kann, wird aktuell noch immer durch den mangelhaften Zugang zu Daten erschwert. Auch die Verknüpfung zwischen den Daten zu unterschiedlichen Leistungen für einzelne Patient*innen fehlt nach wie vor, was die Umsetzung einer evidenzbasierten Gesundheitsversorgung erschwert. In den Diskussionen während des diesjährigen EbM-Kongresses wurde klar, dass sich viele Akteur*innen im Feld der evidenzbasierten Medizin eine systematischere Erhebung von ethischen Forderungen und Erwartungen wünschen. Patient*innen und die Bevölkerung generell sollten besser eingebunden werden, wenn es darum geht, die Evidenz zu therapeutischen Maßnahmen sowie zum Gesundheitsbedarf zu beurteilen bzw. zu bewerten. Kritisch besprochen wurde im Rahmen der Veranstaltung wiederum, wie der Versorgungsbedarf in Krankenhäusern derzeit erhoben und geregelt wird. Dieser Teil des Gesundheitssektors scheint, in Hinblick auf rechtliche und behördliche Vorgaben sowie die Evidenzbasierung, weitgehend variablen Grundsätzen zu unterliegen.

Zu den Abstracts der diesjährigen Programmpunkte & Call for Abstracts für den EbM-Kongress 2023 in Potsdam zum Thema "Gesundheit und Klima" (Ende der Deadline zur Einreichung: 31. Oktober 2022.)

Text: Edeltraud Günthör