Cannabinoide bei Multipler Sklerose: Was können sie bewirken?

Eine Ärztin berät eine Patientin

Spastik und chronische Schmerzen sind häufig bei Menschen, die an Multipler Sklerose (MS) erkrankt sind. Cannabinoide können diese Symptome möglicherweise vermindern. Die Nachfrage nach Cannabinoiden zur Behandlung von MS ist groß. Ein aktueller Cochrane Review erhebt den Nutzen und mögliche negative Effekte von Cannabinoiden im Einsatz bei MS.

Die Spastik bei Multipler Sklerose wird ausgelöst durch eine erhöhte Muskelspannung. Chronische neuropathische Schmerzen treten ebenso auf. Sie ergeben sich durch eine Dysfunktion oder Läsion des Nervensystems und werden als brennend, stechend oder dumpf wahrgenommen. Schreitet die Erkrankung fort, nehmen diese Symptome zu. Sie erschweren den Alltag und schränken die möglichen Aktivitäten ein. Medikamente gegen die Spastik oder auch Schmerzmittel wirken oft nur eingeschränkt oder die Betroffenen vertragen sie schlecht. Ziel eines kürzlich veröffentlichten Cochrane Reviews war es, herauszufinden, ob Cannabinoide im Vergleich zu Placebo Spastik, chronische Schmerzen und das Wohlbefinden von Erwachsenen mit MS verbessern können. Ebenso wollte das Autorinnenteam ermitteln, ob Cannabinoide negative Auswirkungen mit sich bringen, zu einem Abbrechen der Behandlung führen oder auch mit einer Veränderung bei der Drogentoleranz assoziiert werden können.

Fazit des Cochrane Reviews: Cannabinoide können zwar kurzfristig den Schweregrad der Spastik vermindern und das Wohlbefinden von Menschen mit MS erhöhen. Es kann durch sie jedoch auch zu Störungen des Nervensystems und psychiatrischen Störungen kommen.

Positive Effekte von Cannabinoiden bei MS

In der Analyse zeigte sich, dass Cannabinoide verglichen mit Placebo wahrscheinlich die Zahl der Patient*innen erhöhen kann, die über eine wesentliche Verringerung der empfundenen Spastik berichten (Odds Ratio (OR) 2,51, 95% Konfidenzintervall (KI) 1,56 bis 4,04; 5 RCTs, 1143 Personen). Die Zahl der Personen, die angaben, dass ihre Schmerzen wesentlich erleichtert wurden, könnte sich durch die Cannabinoide ebenfalls erhöhen (OR 4,23, 95% KI 1,11 bis 16,17; 1 Studie, 48 Personen). Die Evidenz stützt sich in diesem Fall auf eine sehr kleine Studie und ist entsprechend als unsicher einzustufen. Darüber hinaus könnten Cannabinoide die Zahl der Patient*innen möglicherweise steigern, die eine starke oder sehr starke Verbesserung ihres Gesundheitszustandes wahrnehmen (OR 1,80, 95% KI 1,37 bis 2,36; 8 Studien, 1215 Personen).

Mögliche negative Auswirkungen

Das Team der Review-Autorinnen ermittelte, dass Cannabinoide die Zahl der Patient*innen, die die Behandlung aufgrund von unerwünschten Wirkungen abbrechen, leicht erhöhen können (OR 2,41, 95% KI 1,51 bis 3,84; 21 Studien, 3110 Personen). Auch Störungen des Nervensystems (OR 2,61, 95% KI 1,53 bis 4,44; 7 Studien, 1154 Personen) oder psychiatrische Störungen (OR 1,94, 95% KI 1,31 bis 2,88; 6 Studien, 1122 Personen) können bei einer Behandlung mit Cannabinoiden verglichen mit Placebo häufiger auftreten.

Lebensqualität, schwere Nebenwirkungen und Drogentoleranz

Cannabinoide zur Behandlung der Symptome bei MS haben möglicherweise kaum oder keine Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patient*innen. Weiters zeigten sich nur geringe bis keine Unterschiede in Hinblick auf schwerwiegende Nebenwirkungen beim Vergleich von Cannabinoiden mit Placebo. Ähnlich verhielt es sich bei der Drogentoleranz. Die Evidenzlage ist hier jedoch sehr unsicher.

Fakten zum Cochrane Review

Die Review-Autorinnen konnten 25 randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) mit 3763 Teilnehmer*innen einschließen. 2290 Personen erhielten Cannabinoide zur Behandlung der Spastik und Schmerzen. Bei den Studien handelte es sich um RCTs, die ein paralleles Design oder Cross-over-Design aufwiesen. Sie verglichen den Einsatz von Cannabinoiden in jeglicher Form, jeglicher Dosis, Frequenz oder Dauer mit Placebo. Die Studiendauer betrug von drei bis zu 48 Wochen. Das Alter der Studienteilnehmer*innen lag zwischen 18 und 60 Jahren. 50 bis 88 Prozent der Studienteilnehmer*innen waren weiblich. Die Evidenz ist aktuell bis zum April 2021.

Zum Cochrane Review

Text: Isolde Sommer und Edeltraud Günthör