Koproduktion von Reviews: Alles eine Frage der Bereitschaft

Griebler_Ursula@W.Skokanitsch and Ledinger_Dominic_@Daniel-Novotny

Die neu gegründete Cochrane-Methodengruppe für Koproduktion hat zum Ziel, das gemeinsame Forschen mit Nutzer:innen selbstverständlicher zu machen - und damit die Relevanz und Sichtbarkeit von Cochrane-Reviews zu erhöhen. Ursula Griebler und Dominic Ledinger von Cochrane Österreich haben bei der Konzeption der Gruppe mitgearbeitet und berichten, warum die Zusammenarbeit zwischen Cochrane-Autor:innen und ihren Zielgruppen lohnend ist. Ein Interview von Julia Harlfinger.

Julia Harlfinger: Warum ist die neue Methoden-Gruppe wichtig?

Dominic Ledinger: Die neue Gruppe schafft einerseits Aufmerksamkeit für das Thema Koproduktion und wird sich explizit damit beschäftigen, wie das von statten gehen soll. Immerhin hat Cochrane sich dazu verpflichtet, Nutzer:innen stärker in der Prozess der Evidenzsynthesen einzubinden.

JH: Ist das Thema Koproduktion wirklich so relevant, dass es eine eigene Methodengruppe dafür geben muss?

Ursula Griebler: Auf jeden Fall! Immerhin geht es um das Einbeziehen derjenigen, für die die Cochrane-Reviews ja eigentlich gedacht sind: Patient:innen, Ärzt:innen und Politiker:innen zum Beispiel. Durch die Koproduktion sollen die Forschungsergebnisse besser in die Entscheidungsprozesse im „echten Leben“ einfließen können, etwa wenn es um die Auswahl einer Therapie oder einer Maßnahme zur Gesundheitsförderung geht.

JH: Was kann die Methodengruppe dafür tun, damit dies auch jenen gelingt, die sich bisher noch nicht mit Koproduktion beschäftigt haben?

DL: Zum Beispiel mit Leitfäden als Hilfestellung für alle, die einen Cochrane-Review schreiben.

UG: Und durch Forschungsprojekte, die uns zeigen, welche Nutzer:innen wir als Cochrane-Autor:innen am besten einbinden. In welcher Form, bei welchen Schritten. Schon bei der Themenauswahl, erst bei der Interpretation und Formulierung der Ergebnisse oder irgendwo zwischendrin?

DL: Ja, es ist wichtig, zu verstehen, wo Koproduktion sinnvoll ist – und wann wohl eher nicht. Ich fände es auch begrüßenswert, wenn sich Cochrane-Autor:innen in ihren Reviews dazu äußern, warum sie keine Nutzer:innen eingebunden haben – im Sinne des transparenten Berichtens.

UG: Nicht nur methodisch, sondern auch ethisch gibt es viele offene Fragen, zum Beispiel zur Zusammenarbeit mit vulnerablen Personen, also etwa psychisch Kranken oder Kindern. Praktisch ist interessant, ob die Forschungspartner:innen für ihre Mitarbeit bezahlt werden sollen...

DL: …und wie Cochrane-Autor:innen mit dem Thema Interessenskonflikte umgehen sollen, die es ja auch bei Nutzer:innen gehen kann.

JH: Welchen Qualitätsgewinn können wir uns erwarten, wenn sich partizipatives Arbeiten bei Cochrane-Reviews weiter durchsetzt?   

DL: Im Forschungsprozess stoßen wir, wenn wir ehrlich reflektieren, bei gewissen Schritten an Grenzen. Zum Beispiel, weil wir Annahmen treffen müssen, aber trotz korrektem Vorgehen nicht ganz sicher sein können, ob diese in der Praxis auch so zutreffen. Hier wäre eine engere Zusammenarbeit wahrscheinlich sinnvoll.

UG: Es ist auch wichtig, von Nutzer:innen zu erfahren, welche Endpunkte aus ihrer Sicht relevant sind…

DL: …sie können so, indem sie Forschungslücken aufdecken und diese in Cochrane-Reviews dokumentieren, die Durchführung von Primärstudien anregen.

JH: Co-production, Consumer Involvement, Patient Engagement, Co-research - sind das unterschiedliche Begriffe für ein- und denselben Prozess?

UG: Es geht immer um das extrem wichtige Thema Partizipation, die Begriffe und Auffassungen dazu sind im Wandel. Für mich bringt der aktuelle Begriff Koproduktion zum Ausdruck, dass es hier um einen wahrhaftig gemeinsamen Prozess geht, der auch wirklich gelebt wird.  

JH: Das klingt fast ein bisschen utopisch.

UG: Alles eine Frage der Bereitschaft (lacht)! Aber es stimmt, Forscher:innen sind nicht unbedingt daran gewöhnt, Nicht-Forscher:innen zu fragen und deren Einschätzungen und Ideen als gleichwertig zu akzeptieren. Letztlich geht es aber darum, Evidenzsynthesen für die Welt „da draußen“ so relevant wie möglich zu machen. Ich wünsche mir deswegen, dass Koproduktion in Cochrane-Reviews so selbstverständlich wird wie Metaanalysen.

 

Ursula Griebler ist Expertin für Gesundheitsförderung, wo sie „Partizipation als ein Grundprinzip“ versteht. Sie hat Ernährungswissenschaften sowie Public Health studiert.

Dominic Ledinger ist Spezialist für Rapid Reviews und sucht nach Wegen, „um den Nutzen von Evidenzsynthesen zu maximieren“. Er hat Physiotherapie sowie Public Health studiert.

 

Infos:

Bei Projekten in Koproduktion gehören auch Personen zum Forschungsteam, die üblicherweise nicht in der Wissenschaft arbeiten. Sie werden häufig als Nutzer:in, Konsument:n oder Partner:in bezeichnet - im Prinzip jede Person, die Ergebnisse von Evidenzsynthesen zur Entscheidungsfindung heranziehen kann, zum Beispiel: Patient:innen, politische Entscheidungsträger:innen, Personen aus dem Gesundheitswesen (z. B. Pflege, Ärzteschaft, medizinisch-technische Dienste), Forscher:innen, Mitarbeiter:innen von Sozialversicherungen.

Cochrane hat sich in seinem „Consumer Engagement and Involvement Framework“ einer Stärkung der Koproduktion verschrieben und bekennt sich auch durch die Unterzeichnung der Initiative „Putting People First“ der britischen Health Research Authority dazu. Leitung der Cochrane-Methodengruppe „Co-Production“ haben Alex Todhunter-Brown (Forscherin), Maureen Smith (Patientin) und Richard Morley (Cochrane Consumer Engagement Officer) inne. Drei Forscher:innen von Cochrane Österreich haben die Gründung der Methoden-Gruppe unterstützt und werden in den kommenden Jahren an einer Anleitung zur bestmöglichen Partizipation mitarbeiten. Dies umfasst beispielsweise die Erforschung der partizipativen Methodik, der Barrieren und fördernden Maßnahmen, des Umgang mit Interessenskonflikten und der Auswirkungen von Nutzer:innenbeteiligung auf die Ergebnisse und Schlussfolgerungen von Evidenzsynthesen. (Dominic Ledinger)