Ein systematischer Review, der im Jänner 2022 im Journal Studies in Applied Economics veröffentlicht wurde, stellt fest, dass Lockdowns nur geringe bzw. keine Auswirkungen auf die Sterblichkeit durch COVID-19 haben. Wird dieser Review jedoch methodisch bewertet, zeigen sich zahlreiche Mängel. Seine Aussagekraft ist daher äußerst fragwürdig.
Die Autoren Jonas Herby, Lars Jonung und Steve H. Hanke kommen in ihrem systematischen Review „A Literature Review and Meta-Analysis of the Effects of Lockdowns on COVID-19 Mortality” zu dem Schluss, dass Lockdowns in Europa und den USA die Sterblichkeit durch COVID-19 um durchschnittlich nur 0,2 Prozent reduziert haben. Für sie steht dieser geringe Effekt im völligen Gegensatz zu den enormen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen durch Lockdowns. Dabei subsummieren die Autoren unter dem Begriff Lockdown unterschiedliche verpflichtende, nicht pharmazeutische Maßnahmen, wie das Tragen von Masken, Reise- und Kontaktbeschränkungen oder auch Geschäfts- und Schulschließungen. Wurde eine dieser Maßnahmen angeordnet, so sprechen die Autoren von einem Lockdown. Die Autoren haben insgesamt 34 Studien in den Review und 24 Studien in die Meta-Analyse eingeschlossen. Ein Großteil der Studien (29) zog Daten heran, die vor dem September 2020 erhoben worden waren.
Bewertung des systematischen Reviews
Die beiden Co-Direktor*innen von Cochrane Österreich, Gerald Gartlehner und Isolde Sommer, haben den systematischen Review von Herby et. al einer kritischen methodischen Bewertung unterzogen. Das zentrale Ergebnis: Dieser Review weist gravierende methodische Mängel auf und lässt daher keine validen Aussagen zu. Ein methodisch gut gemachter systematischer Review beinhaltet eine klare Forschungsfrage, eindeutige Ein- und Ausschlusskriterien sowie eine umfassende systematische Suchstrategie. Er beinhaltet duale Auswahlprozesse und eine Bewertung des Biasrisikos eingeschlossener Studien, die in die Analyse einfließt. In diesem Review sind die Auswahlkriterien zu den Studiendesigns uneindeutig. Es wurde keine angemessene Suche in medizinischen Datenbanken gemacht und keine Suchstrategie angeführt. Die Bewertung des Biasrisikos fehlt. Außerdem sind die Daten aus den Studien unzureichend extrahiert und somit für die/den Leser*in oft nicht nachvollziehbar. Informationen über die geplanten statistischen Analysen zur Zusammenfassung der Daten (Meta-Analysen) sind im Protokoll nicht zu finden. Die statistischen Analysen ähneln einem Fixed-Effects-Modell, obwohl ein Random-Effects-Modell eher angebracht gewesen wäre. Auch die statistische Heterogenität zwischen den Studien wurde nicht erfasst. Insgesamt ist dieser systematische Review daher mit einem hohen Biasrisiko und damit mit einem hohen Risiko für eine systematische Verzerrung der Ergebnisse einzustufen. Dazu abschließend Isolde Sommer: „Ein methodisch mangelhafter systematischer Review birgt die Gefahr einer erheblichen Verzerrung bei den Schlussfolgerungen. Das ist gerade bei hochrelevanten Themen, die zur politischen Entscheidungsfindung herangezogen werden, sehr problematisch.“
Text: Isolde Sommer & Edeltraud Günthör